Anlässlich des internationalen feministischen und Frauen-Streiks 2019: NO MORE DEVOTION! Künstlerinnen*, streikt!

Liebe Kolleginnen_!

Wir sind Rosa, Theresa, Lilli, Antje, Irène und Franziska. Wir sind CindyCat. Wir alle sind Künstlerinnen und Kulturschaffende. Wir machen konzeptbasierte, politisch engagierte, langfristig angelegte, am Prozess orientierte, wenig objektfokussierte und von Residenzen und Projektförderungen abhängige Kulturarbeit. Diese Arbeit findet unter sehr prekären Umständen statt. Denn auch und gerade weil wir mit Überzeugung und Liebe Kunst machen, bedeutet das viel, ja dreifach zu arbeiten: Wir sind nicht nur Künstlerinnen sondern verrichten auch Hausarbeit, die zum täglichen Leben dazugehört. Beiden gemein ist, dass sie schlecht oder gar nicht bezahlt sind. In beiden Fällen wird  vielfach davon ausgegangen, dass wir diese Arbeiten so gerne tun, dass eine Bezahlung gar nicht nötig ist. Und weil wir nicht oder nur wenig bezahlt werden, brauchen wir zusätzlich noch eine Lohnarbeit. Das heißt, wir arbeiten in drei Schichten: Kulturarbeit, Hausarbeit und Lohnarbeit. Alle drei Formen unserer Arbeit finden unter genau den patriarchalen Bedingungen statt, die auch die meisten anderen gesellschaftlichen Bereiche durchziehen. Weil es in der Kunst viel um Netzwerke, um symbolische und repräsentative Macht geht, behindern uns Seilschaften weißer Männer in spezifischer Weise: Sie beziehen sich aufeinander, laden ihre Buddies für Ausstellungen ein und schreiben Bücher über andere weiße Männer. Da langweilt sich sogar die Haut auf unserem Kakao. Auffällig ist außerdem, dass die unbezahlte, emotionale Arbeit uns sowohl in unserer Sozialisation als Frauen als auch als Künstlerinnen quasi in die Wiege gelegt scheint. Leidenschaftlich sagen wir: ES REICHT.

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Wir nehmen nicht länger hin, dass… 
…wir – zu Selbstständigen gemacht – alle Verantwortung für unsere unterbezahlten und überlastenden Arbeitsverhältnisse allein tragen müssen.
…unsere Arbeit in Form ständig neuer Projekte und nie endender Bewerbungsverfahren wiederholter Abwertung ausgesetzt ist.
…jeder Projektantrag, jede Bewerbung, jeder open call eine finanzielle, personelle und zeitliche Vorleistung unter Unsicherheit bedeutet. 
…Künstlerin* sein eine Klassenfrage ist, weil 1) Menschen aus nicht-akademischen Haushalten es meist gar nicht erst an Kunst- und Musikhochschulen schaffen, 2) wenn doch, ohne finanzielle Rücklagen die Risiken dieses Berufs nicht eingehen können und 3) die Frage, was überhaupt als Kunst gilt, weiterhin bürgerlichen Idealen folgt.
…der Kulturbetrieb in vielen Fällen immer noch eine Veranstaltung weißer Männer ist.
…unsere Kolleginnen of Colour sich immer und immer wieder mit rassistischen Strukturen, die auch den Kulturbetrieb durchziehen, konfrontieren müssen.
…sich feministische Themen und Anliegen durch große Ausstellungshäuser thematisch zwar angeeignet werden, dabei aber nichts an den Strukturen/Produktionsverhältnissen geändert wird. Wir nennen das fem-washing und lehnen es ab, obwohl eine solche Waschung in klassischen Konzertsälen leider schon ein Fortschritt wäre.
… Künstlerinnen* verschiedener Sparten in Deutschland im Schnitt um die 30% weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Diese Zahl hat sich von 2010 auf 2014 tendenziell verschlechtert.(1) 
… Frauen als Musen und Männer als Malerfürsten verstanden werden. Frauen wird – zumindest in unseren Breitengraden – eher die Fähigkeiten der Interpretation, weniger der Komposition zugesprochen.
… wir nicht nur unsere Arbeit, sondern auch unser Leben, unsere Persönlichkeit und unsere Leidenschaft feil bieten müssen, um als „echte“ Künstlerin zu gelten. Eine „spannende“ Biographie, ein inszenierter Körper, ein „privater“ Besuch im Atelier – das alles ist Teil davon.
… der Mythos „Künstler-Genie“ auch 2019 noch den alltäglichen Sexismus in unsrer Branche legitimiert. Jede von uns erinnert zu viele Situationen, in denen der Prof, der Kritiker, usw. einen Seitenkommentar hat fallen lassen – gerne auch betrunken.
Es ist so klar wie die gläserne Decke: Die Geschichte der unbegrenzten Freiheit von uns Selbstständigen ist ein Märchen. „Freiheit“ ist ein grenzenloser Euphemismus für projektförmiges, unsicheres, kaum nachhaltiges und individualisiertes Arbeiten. Wir weigern uns, es weiter zu erzählen und überhaupt daran zu glauben. Deswegen rufen wir auf zum Streik. Wir wollen nicht weiter als Einzelkämpferinnen* mit unseren Arbeitsbedingungen kämpfen. Wir werden uns nicht länger zu Konkurrentinnen* machen lassen, denn die einzige Antwort auf die selbstständige Vereinzelung im Kulturbetrieb ist die Solidarität!
Wir bestreiken die Geschichte der Eigenverantwortung von Freiberuflichkeit und liefern uns nicht weiter alleine dem Betrieb aus.
Wir werden den Problemen und der Prekarität gemeinsam und solidarisch entgegentreten.
Wir schaffen Bewusstsein bei denen, die Kunst und Kultur genießen und oft gar nicht um die Bedingungen wissen, unter denen sie entsteht.
Wir sorgen für Transparenz, indem wir mit unseren Kolleginnen über die konkreten Bedingungen, die Bezahlung, Prekarität und Armut sprechen.
Wir arbeiten hin auf eine Teilung der Zeit, die es jedem Menschen erlaubt, schöpferisch tätig zu sein.
Wir streben nach einer Kunst die verstören darf, die Fragen stellt, die komplex ist und nicht zwangsläufig der Unterhaltung, der Zerstreuung und der geistigen Reproduktion erschöpfter, ausgelaugter Subjekte zu dienen hat.
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(1) https://www.kulturrat.de/wp-content/uploads/2016/12/Frauen-in-Kultur-und-Medien.pdf

Mehr Info zu CindyCat (ehemals Branchengruppe Kunst und Kultur in der FAU Dresden) findet ihr hier: https://dd.fau.org/branchen/kunst-kultur/

Kontakt: cindycat[at]riseup.net