Schüler_innenorientierte Lösungen statt Prüfungszwang

Seit mehreren Wochen müssen Schüler_innen aufgrund der Pandemie zuhause bleiben und dort mehr oder weniger selbstständig lernen. Lange herrschte Unklarheit, wie lang die Schulschließung noch andauern wird und ob und wie sämtliche Abschlussprüfungen stattfinden werden. Nun wird bundesweit über eine Schulöffnung diskutiert. Zudem sollen die Prüfungen nach jetzigem Stand stattfinden.

Das finden wir unverantwortlich. Dadurch das Schüler_innen und Auszubildende sich zu Hause auf die Prüfungen vorbereiten müssen bekommen, unterschiedliche Voraussetzungen noch einmal eine größere Bedeutung, als sie so schon haben. Die finanzielle Lage und Zeitkapazitäten der Eltern beeinflussen den Bildungsweg. Darauf wurde auch in den letzten Wochen von verschiedenen Seiten hingewiesen und doch wird an der Durchführung der Prüfungen fest gehalten.

Da der Unterricht online stattfinden muss, sind wir als Schüler_innen darauf angewiesen Zugang zu einem Gerät zu haben, mit welchem wir eine stabile Internetverbindung aufbauen können. Nicht alle Schüler_innen besitzen einen eigenen Computer oder Laptop. Auch haben nicht alle die Möglichkeit sich in ein eigenes Zimmer zurückzuziehen. Die Voraussetzungen in denen Schüler_innen gerade lernen müssen, sind stark von der sozialen und wirtschaftlichen Situation der Eltern abhängig. Kann ich mich zu Hause konzentrieren und können mir meine Eltern bei den Schulaufgaben helfen?

Abseits von der Schule sind gerade auch grundsätzliche Fragen aufgeworfen, die z.B. die finanzielle Ungewissheit betreffen, da viele gerade ihre Arbeit nicht ausführen können. Ein weiterer Punkt ist die psychische Mehrbelastung, die mit den Auswirkungen der Pandemie einhergeht. So kann es für Jugendlich mitunter zu hause schwer sein, wenn die familiäre Situation angespannt ist oder Gewalterfahrungen gemacht werden. Das die Pandemie negative Auswirkungen in dem Bereich hat, zeigt sich auch in Angeboten die gerade durch die Jugendhilfe ausgebaut werden. Aber auch das Risiko was der Virus für Menschen aus Risikogruppen mit sich bringt kann emotional strapazierend sein. Zuletzt auch die soziale Distanznahme und der fehlende Kontakt zu Freund_innen und Mitschüler_innen macht die Gesamtsituation nicht einfacher zu bewältigen.

Auch der Online-Unterricht greift auf die eine oder andere datenrechtlich fragwürdige Praxis zurück. So müssen Schüler_innen über ihre private e-mail Adresse oder Telefonnummer mit Lehrer_innen telefonieren und es wird auf Kommunikationswege vertraut, zu denen nicht alle Schüler_innen Zugang haben, z.B. sind Schüler_innen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht in einem Klassenchat sind, von wichtigen Informationsketten abgehängt.

Es ist also klar, dass die wirtschaftliche Position der Haushalte gerade maßgeblich darauf Einfluss hat, wie gut man sich auf die Prüfungen vorbereiten kann. Unter diesen Umständen hat das Durchführen von Prüfungen nichts mit Gerechtigkeit zu tun sondern würde die sowieso schon ungerechten Voraussetzungen für den Erhalt eines Abschlusses nur noch verstärken. Wir fordern daher, die Prüfungen auszusetzen oder freiwillig zu gestalten und eine Lösung zu finden, die Ungleichheit nicht verstärkt, sondern abbaut!*

Das jetzt vordergründig darauf gesetzt wird, dass die Prüfungen stattfinden können, verdeutlicht noch einmal mehr, dass es bei unserer Bildung nur darum geht für den Arbeits- und Ausbildungsmarkt verwertbar gemacht zu werden und nicht um den Prozess der Bildung während der letzten 9 bis 13 Jahre an sich. Deshalb wäre es ein guter Anfang, dieses Jahr gezwungener Maßen auf das Durchschnittsabitur zurückzugreifen. Aber es muss auch eine grundsätzliche Veränderung im Bildungssystem geben. Weg von Noten, die vermeintliche Vergleichbarkeit vor heucheln hin zu einem auf Selbstbestimmung und Individualität basierendem Bildungssystem.

 

* Für Schulen, in denen Lernen schon abseits von Notengabe funktioniert, fordern wir, dass sie Abschlusszeugnisse (ohne verpflichtende Prüfungen) ausstellen können, welche anerkannt werden.