Auch dieses Jahr hat krass begonnen. Auf den Straßen gibt es Massenproteste und in vielen Betrieben wird gestreikt. Gründe dafür gibt’s genug: Der Kapitalismus produziert wie am Fließband einen Krieg und eine Krise nach der nächsten und wer dafür bezahlt, sind wie immer die, die eh schon die Arschkarte gezogen haben. Das sind die Armen, das sind Leute ohne Mitsprachemöglichkeiten, das sind Menschen, die ihren Aufenthaltsort nicht frei wählen können, das sind Frauen und Queers, auf die gespuckt wird, die angegrapscht und scheiße oder gar nicht bezahlt werden. Wir finden das zum Kotzen!
Unser Wirtschaftssystem entmenschlicht uns alle jeden Tag aufs Neue: Meine Genossin arbeitet in der Pflege, sieht jeden Tag Menschen leiden und kennt Lösungen, die entweder niemanden interessieren, oder die in einen auf Effizienz getrimmten Arbeitsablauf einfach nicht passen wollen. Ich suche mit einem akuten Problem eine Ärztin und bekomme einen Termin in 4 Monaten. Mein Mitbewohner bleibt in einem Job, der ihn durch Leistungsdruck und Pausenlosigkeit krank und kaputt macht, weil das Bürgergeld ein Witz ist und ihn der Armut ausliefert. Wir alle kennen tausende dieser Alltagsgeschichten…
Das Problem heißt Kapitalismus, aber nicht nur. Denn auch das Patriarchat trägt seinen Teil dazu bei, uns am Ende doppelt fertig zu machen – auf der wirtschaftlichen Ebene und der Ebene unserer Beziehungen. Nur wenn ich meinen Mitbewohner nach einem stressigen Arbeitstag mit einem Essen und Gespräch wieder aufbaue, kann es am nächsten Morgen produktiv und effizient weitergehen. Nur weil unsere Müttergeneration von früh bis spät umsonst für ihre Familien gesorgt und ihre eigenen Träume und Entwicklungsmöglichkeiten zurückgestellt hat, konnte unsere Vätergeneration Geld für die eigene Rente verdienen und Politik für sich selbst machen. Und so bleibt die Mutter meiner Freundin, die 5 Kinder großgezogen hat, aus Angst vor Altersarmut in einer Ehe, die sie unglücklich macht. Was für eine Scheiße!
Und die Kirsche auf der Torte: All der Druck, die Entmenschlichung und die ständige existenzielle Unsicherheit wirken sich nicht nur an unserem Arbeitsplatz oder bei Ämterbesuchen aus, sondern auch auf all unsere zwischenmenschlichen Begegnungen und persönlichen Beziehungen. Dass meine Nachbarin durch ihren Partner Gewalt erfährt, ist nicht nur eine persönliche Tragödie, sondern die logische Konsequenz. Weil sich sexistische Gewalt – auf der Straße wie zu Hause – im Patriarchat gegen Frauen und Queers richtet, müssen wir uns täglich Sorgen um sie machen. Auch das finden wir zum Kotzen!
Wir wollen nicht verwertbar sein, unser Wert liegt in uns selbst. Wir wollen raus aus der Ohnmacht und selber entscheiden, wie wir leben und arbeiten. Wir wollen eine Gesellschaft, in der wir überall und immer zuerst Menschen sein dürfen – nicht Maschinen, weil immer Krise ist, weil der Laden weiterlaufen muss.
Ich will, dass mein Mitbewohner Pausen machen kann, wenn er Pausen braucht und wenn er krank ist, bleibt er einfach zu Hause. Ich will, dass er gar nicht erst krank wird, weil er die ganze Zeit unter einem absurden Leistungsdruck steht. Ich will, dass meine Genossin in der Pflege den Menschen, die ihre Unterstützung benötigen, so helfen kann, wie sie es brauchen – ohne Zeitdruck. Alle können sich mit ihren Fähigkeiten einbringen und wissen dabei, wofür sie das tun.
Wir wollen eine Gesellschaft, in der wir keine Angst haben müssen. Angst, die uns einengt, uns vereinzelt, uns kleinhält und unsere Energie frisst. Wir wollen eine Gesellschaft, in der wir für uns selbst und andere einstehen, in der wir unsere Arbeit, Probleme und unsere Freude miteinander teilen. Wir wollen eine Gesellschaft, in der wir uns umeinander kümmern können, z.B. wenn wir alt oder dement sind oder Liebeskummer haben.
In dieser Gesellschaft, für die wir kämpfen, …
… schert sich niemand mehr um Geschlecht – was war das noch gleich? – oder um Herkunft oder Hautfarbe oder Religion.
… erfährt niemand Gewalt wegen diesem Scheiß von gestern und wir müssen keine Angst um unsere queeren Freund*innen mehr haben.
…gibt es ganz viele verschiedene Lebens- und Liebensweisen und keine*r kommentiert und bewertet das. Es ist nicht gefährlich, verschieden zu sein. Es ist einfach so.
… haben wir große Beziehungsnetzwerke, die uns Sicherheit geben, weil wir Zeit haben, sie zu pflegen.
… können wir entsprechend unserer Fähigkeiten tätig sein (oder auch nicht), ohne dass die Befriedigung unserer wirklichen Bedürfnisse davon abhängt,
… fügen wir nicht durch unsere Lebensweise automatisch anderen Menschen und der Natur überall auf der Welt Schaden zu.
Dieser Utopie können wir schon heute Stück für Stück näher kommen, indem wir uns langfristig organisieren, in Gewerkschaften, in Protest- und Streikbewegungen. Aber nicht alle Streiks und Proteste richten sich gegen Staat, Patriarchat und Kapital. Dabei sind wir uns ganz sicher:
… dass wir uns als Lohnabhängige überall auf der Welt basisdemokratisch zusammenschließen und gemeinsam herausfinden müssen, was wir überhaupt brauchen, welche Arbeit es dafür benötigt und wie wir sie gerecht verteilen können.
… dass es eine Verbesserung der Lebensbedingungen nur mit einer feministischen Ausrichtung geben kann. Wenn wir für uns und unsere Bedürfnisse kämpfen, tun wir das nicht als allein stehende feministische Bewegung, sondern wir bringen unsere feministischen Perspektiven in alle Kämpfe ein, die wir ausfechten müssen und werden.
Eine feministische Streikbewegung aufbauen heißt für uns…
… die Streiks und Streikenden um uns herum zu unterstützen – mit Besuchen, Gesprächen, Geld oder Kuchen.
… von ihren Kämpfen etwas für unsere eigenen zu lernen und uns miteinander zu verbünden.
… feministische Forderungen in all unsere Lebensbereiche zu tragen, sei es auf Arbeit, in unsere Familien, unsere Netzwerke und all unsere Träume.
… uns beim Streiken und Protestieren kollektiv um unsere Bedürfnisse, wie die Versorgung mit Essen, finanzielle Absicherung und emotionale Unterstützung zu kümmern.
… unbezahlte Sorgearbeit so zu organisieren, dass wir für den Umbau unserer Gesellschaft Zeit und Kraft haben.
… immer wieder den Normalzustand zu unterbrechen, sei es durch Streiks, Blockaden, Besetzungen und andere Formen der Verweigerung.
… uns unserer kollektiven Stärke bewusst zu werden, sie gemeinsam wachsen zu lassen und gezielt einzusetzen.
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