Wie arbeiten, nur beschissener. Klage gegen Lieferdienst “Flink” nach fristloser Kündigung

(english translation)

Aktuell befinden wir uns in einem Arbeitskonflikt mit dem Lieferdienst Flink. Eines unserer Mitglieder erhielt kürzlich eine fristlose Kündigung, gegen die wir nun Klage vor dem Arbeitsgericht eingereicht haben.  Die Kündigung war unrechtmäßig, Gründe wurden keine mitgeteilt. Wir fordern alle Lohnabrechnungen, die dem Kollegen nie ausgehändigt wurden, außerdem die Begleichung offener Urlaubsansprüche sowie ggf. offener Lohnzahlungen, sowie ein ordentliches Arbeitszeugnis. Wir klagen hier nur für eine Person, aber wir wollen auch alle Fahrer*innen unterstützen, sich auf allen Wegen gegen die miesen Arbeitsbedingungen bei Flink zu wehren.

Das erst 2020 gegründete Unternehmen ist aktuell der größte Drittanbieter-Lieferservice in Europa. Das Prinzip: Fahrradkurier*innen liefern, laut Werbung binnen 10 Minuten, Artikel des täglichen Gebrauchs direkt an Verbraucher*innen. “Wie einkaufen, nur einfacher”. Auch in Dresden gab es bislang 4 Filialen bzw. Lager von Flink, genannt “Hubs”. Wir hören immer wieder von massiven Verletzungen der Arbeiter*innen-Rechte. Einige erinnert das Ganze sicher an ein ähnliches Unternehmen, “Gorillas”, das durch wilde Streiks von Fahrer*innen aufgrund unhaltbarer Arbeitsbedingungen in die Schlagzeilen geriet.

Unser Mitglied begann seine Arbeit bei Flink im Juni 2021 als Werkstudent. Schon von Beginn gab es Unregelmäßigkeiten bei den Lohnzahlungen, es wurde oft nicht vollständig gezahlt und musste nachgefordert werden. Zu seinen Lohnabrechnungen bekam der Kollege trotz mehrfacher Nachfrage bei Vorgesetzten keinen Zugang, was die Überprüfung der Lohnzahlungen zusätzlich erschwerte. Im Jahr 2021 bekam der Kollege keinen Urlaub, ein Teil wurde ihm erst im Frühjahr 2022 gewährt. Mit den digitalen Arbeitszeiterfassungsdiensten gab es auch immer wieder Probleme, manchmal waren sie einfach nicht erreichbar, manchmal blockiert, sodass der Kollege seine zugeteilten Schichten nicht einsehen und damit defacto keinen Zugang zu seinem Arbeitsplatz hatte. Auf Nachfragen reagierten die Vorgesetzten langsam und oft nur phrasenhaft. “I will take care of it!” und dann Stille. Wer gerade überhaupt “Vorgesetzte*r” war, wechselte oft und war intransparent. Im September verletzte sich unser Mitglied bei einem Arbeitsunfall und erhielt kurz darauf die fristlose Kündigung. Daraufhin reichten wir zusammen Kündigungsschutzklage gegen Flink beim Dresdner Arbeitsgericht ein. Der Gütetermin findet im November statt, wir informieren euch, wenn wir das genaue Datum haben.

Bei uns organisierte Dresdner Flink-Rider*innen haben es mit so vielen Missständen zu tun, dass sie weder in ein Gerichtsverfahren, noch in einen übersichtlichen Text passen: Der Arbeitsschutz ist unzureichend (u.a. bei Extremwetter). Das Gewicht der zu schweren Rucksäcke wird standardmäßig nicht kontrolliert. Verfügbarkeiten werden bei der Vergabe von Schichten oft nicht beachtet. Der Pausenraum ist eine Abstellkammer mit unhygienischer Einrichtung. Kündigungen fanden in der Vergangenheit teilweise komplett formlos und ohne Frist statt. Wie häufig in der Gig-Economy wird das Betriebsrisiko auf die Mitarbeiter*innen ausgelagert: Wenn es nicht genug Bestellungen gibt, hast du eben weniger Stunden und weniger Geld. Vertraglich vereinbarte Stundenzahlen werden nicht eingehalten, so dass hier ein Lohnklau in riesigem Ausmaß stattfindet.
Insgesamt zieht Flink Nutzen aus dem Rassismus unserer Gesellschaft: Das Unternehmen beschäftigt viele Migrant*innen und nutzt deren Abhängigkeiten und spezifische Verletzlichkeiten aus. Oft kennen sie das deutsche Arbeitsrecht nicht, Sprachbarrieren spielen eine Rolle. Emails kommen gerne mal auf englisch, aber aushangspflichtige Gesetze gibt es nur auf deutsch. Es scheint, als versuche Flink es immer erstmal dreist bzw. illegal und versucht damit durchkommen. Leider klappt das auch oft, denn viele haben Angst, etwas zu sagen. Nicht nur finanziell geht es um die Existenz: Sie wollen/können ihre Anstellung und ihren oft daran hängenden Aufenthaltsstatus nicht gefährden. Auch den Kolleg*innen zuliebe entschied sich unser Mitglied, dass wir vor Gericht ziehen.

Die Arbeitsbedingungen der Rider*innen bei Flink stehen beispielhaft für das prekäre Arbeiten in der schönen neuen digitalen Welt der Startups. Bei diesem Gerichtsverfahren geht es leider nicht um die großen Verbesserungen für alle Arbeitenden, es geht erstmal “nur” um die Einhaltung bestehender arbeitsrechtlicher Standards: Chef*innen können nicht einfach machen, was sie wollen. Arbeitsstunden müssen bezahlt werden, Urlaub steht uns auch als Werkstudent*innen und im Minijob zu, für fristlose Kündigungen müssen klare Kriterien erfüllt sein, und so weiter. Der gerichtliche Weg ist eine Strategie, die mageren Rechte einzufordern, die die Arbeiter*innenbewegungen in der Geschichte erkämpft hat. Das lassen wir uns nicht einfach nehmen. Viel wichtiger aber ist es, dass wir uns selbst organisieren, in unseren Betrieben, sowie über Betriebe und Branchen hinweg. Dass wir uns miteinander die Angst vor dem Neinsagen nehmen, indem wir uns gegenseitig unterstützen. Denn gemeinsam können wir uns über unsere Rechte informieren, sie tagtäglich einfordern, uns in finanziellen und persönlichen Krisen auffangen. So müssen uns so nicht mehr alles von der Chefin oder dem Sachbearbeiter gefallen lassen. Denn wir begnügen uns nicht mit einzelnen Gerichtsverfahren, sondern proben eine solidarische, selbstverwaltete Welt, in der es keinen Platz für Ausbeutung und Herrschaft gibt.

Wir freuen uns über euer Interesse und eure solidarische Begleitung der Güteverhandlung am Arbeitsgericht Dresden – stay tuned for the date.
Die Liefer-Start-Ups haben ihre Rechnung ohne die Fahrer*innen gemacht, die sich immer besser vernetzen und auch gewerkschaftlich organisieren.
Wir sind diesen Zuständen alles andere als hilflos ausgeliefert.

P.s.: Wenn ihr doch noch was bei Flink bestellt, dann redet doch mal mit den Rider*innen über ihre Arbeitsbedingungen und darüber, dass sie nicht allein sein müssen, wenn sie sich dagegen wehren.

Lest auch: Arbeiten beim Lieferdienst Flink: Fahrer:innen berichten
oder im englischen Original: Working at Flink delivery service: Riders‘ experiences